Warum die Nächstenliebe verhaßt ist

Die Nächstenliebe ist ein Kernelement des christlichen Glaubens; vielleicht ist sie sogar das wesentliche gemeinsame Element aller christlichen Strömungen. Die Christen haben sie aber keineswegs als Alleinstellungsmerkmal; im Buddhismus etwa gibt es die Idee des Mitgefühls, und das meint gar nichts anderes. Es ist auch nicht überraschend, daß verschiedene Weltanschauungen diselben Ideen entwickeln, denn es gibt nunmal nur eine Schöpfung.

Was bedeutet nun Nächstenliebe? Der christliche Mystiker Meister Eckhart hat dazu diesen Spruch formuliert:

Die wichtigste Stunde ist immer die Gegenwart,

der wichtigste Mensch ist immer der, der dir gerade gegenübersteht,

und das wichtigste Werk ist immer die Liebe.

Also, Nächstenliebe meint, demjenigen Menschen unser Mitgefühl zu schenken, der uns jetzt gerade nahe ist, weil unsere Wege sich irgendwie kreuzen. (Es bedeutet also nicht, irgendwelchen anonymen Wohltätigkeitsorganisationen Geld zu spenden.) Und es bedeutet erstmal, diesen Menschen, der uns gerade gegenübersteht, überhaupt wahrzunehmen, und zu sehen, daß da jemand ist, der genauso ins Leben geworfen ist wie wir selbst. Denn was wir ihm tun, das tun wir im Grunde uns selbst.

Würde nun jeder Mensch dies befolgen, und würde einfach nur jene Menschen, denen er ohnehin begegnet, beginnen wahrzunehmen in ihrem so-sein und ihren Bedürfnissen, und sich ihnen mitfühlend zuwenden, dann, so denke ich, ergäbe das eine wunderbare Welt, in der jeder Mensch das Gefühl haben könnte, nicht alleingelassen zu sein.

Wenn also die Religionen im grunde solche Dinge lehren, die doch eine Wohltat für alle wären und unsere Welt in einen schöneren Platz verwandeln könnten, warum lehnen dann so viele Menschen die Religionen ab?

Dazu muß man verstehen, daß unsere Kultur, auch wenn sie behauptet kapitalistisch zu sein (was sehr von Übel ist), stark durch den Sozialismus geprägt ist. Und der Sozialismus mag Religionen nicht. Der Sozialismus will auch nicht daß die Menschen glücklich sind; er will im Gegenteil, dass sie neidisch und unzufrieden sind und andere bekämpfen. Und da er rein materialistisch denkt, kann der Sozialismus sich gleich gar nichts darunter vorstellen, was Liebe ist (selbst die erotische Liebe versteht er nur als ein körperliches Bedürfnis zum kopulieren, aus dem dann Kinder hervorgehen).

Nun könnte man aber doch, auch wenn man die sozialistische Ideologie bejaht und begrüßt, dennoch erkennen, das Nächtenliebe etwas gutes und wohltuendes ist, was wert zu fördern ist. Jedoch, damit gibt es ein schwerwiegendes Problem:

Würden die Menschen einander in Nächstenliebe begegnen, würden sie einander unterstützen und fördern, dann könnten sie ihre Angelegenheiten miteinander zum gemeinsamen Besten regeln und sich das Leben so einrichten wie es gut für sie ist. Sie bräuchten dann keinen Staat und keine Regierung, die ihnen diktiert wie sie zu leben haben. Würden die Menschen füreineinander da sein und einander helfen und niemand alleinlassen, dann bräuchte es viel weniger staatliche Fürsorge und Umverteilung. Es bräuchte, kurzum, weniger Staat.

Das aber will der Sozialismus nicht, er will im Gegenteil einen großen und mächtigen Staat mit viel Verwaltung, der alles regelt. Die Menschen sollen sich nicht gegenseitig unterstützen, sie sollen vor allem keine Selbstverantwortung üben, sondern sich auf den Staat verlassen, und sie sollen egoistisch sein und viel Neid entwickeln, damit sie den Sozialismus unterstützen. Das bildet die notwendige Basis, um vielerlei Behörden und Ämter einzurichten, die wiederum viele Arbeitsplätze für die Parteifreunde liefern, und um alles durch staatliche Umverteilung zu regeln, bei der die Genossen dann in reichlichem Maß das ihre abzwacken können.

Man sieht, würden wir Nächstenliebe üben, dann wäre das geradezu lebensbedrohlich für die Sozialisten und ihre Funktionäre, denn dann würden sie ihrer einträglichen Pfründe verlustig gehen und müßten arbeiten wie wir anderen auch.

Es wird immer gesagt, die sozialistischen Ideen seien wichtig, um den übermächtigen Kapitalismus in Schach zu halten. Das stimmt aber nicht: Sozialismus und Kapitalismus gehen gut zusammen und harmonieren ganz hervorragend, denn beide denken gleichermaßen rein materialistisch. Der Sozialismus hat auch gar nichts gegen einen ausufernden Kapitalismus einzuwenden; er will nur, daß dieser einhergeht mit einem mächtigen und alles kontrollierenden Staatswesen mit unzähligen Beamten- und Funktionärsposten, staatlich kontrollierten Anstalten und Institutionen, die sich in alles einmischen und alles regulieren. Und all diese Anstalten und Einrichtungen müssen natürlich mit Personal besetzt und vom Volk bezahlt werden, und bieten so einträgliche Posten für die Parteifreunde.